Urteile nicht über Dinge, von denen du nur Echo und Schatten kennst

Andere Länder, andere Sitten. Dieser Spruch ist wohlbekannt und jeder weiß, dass er durchaus der Wahrheit entspricht. Dennoch hat man des Öfteren den Eindruck, dass diese Tatsache vergessen; ja gar verpönt wird. Die Folge sind Vorurteile. Gegenüber Kulturen, Gewohnheiten und Menschen.

 

Seit dem ich wieder von meinem längeren Aufenthalt in China zurück bin, ist die erste Frage, die mir von den meisten Personen gestellt wird, ob Hund schmeckt. Auch wenn es als Witz gemeint ist, verdeutlicht es doch ein gewissen klischeehaftes Bild, das Menschen von dem Land haben. Klischees nähren nun mal Vorurteile. Und um es zu klären: Ja, Hund schmeckt.

Bevor jetzt der Sturm der Entrüstung losbricht und ich als seelenloser Fleischfresser tituliert werde, bedenkt bitte, dass ein Inder uns Europäer vermutlich auch komisch findet. Wir essen Kühe, die in der hinduistischen Kultur heilig sind. Meiner Meinung nach sollte man in fremden Ländern gerade in kulinarischer Hinsicht so viele Dinge wie möglich ausprobieren. Wann erhält man sonst die Möglichkeit dazu? Jeder muss selbst wissen, wo seine Grenzen liegen. Noch ein Tipp zur Vermeidung von einem Fauxpas in China oder im Chinarestaurant: Niemals die Stäbchen (von denen ich hoffe, dass ihr alle damit esst!) in den Reis stecken! Das erinnert nämlich an das Begräbnisritual, bei dem man das mit Räucherstäbchen tut.

Gerade der Vergleich von West und Ost ist mit vielen Vorurteilen behaftet, die weit über die Essgewohnheiten hinausgehen. Zum Beispiel ist es in China, Vietnam und noch anderen Ländern Asiens verpönt sich die Nase zu putzen. Man zieht den Auswurf einfach hoch und spuckt in auf die Straße, was durchaus gewöhnungsbedürftig ist. Allerdings werden wir „Langnasen“ genau für das Gegenteil schräg angeschaut, da wir unsere Absonderung in ein Taschentuch sammeln und womöglich zurück in die Hosentasche stecken. Womit ich die asiatische Ansicht durchaus vertreten kann. Übrigens sagt man in China auch nicht „Gesundheit“ wenn eine Person niest; genau genommen gibt es nicht mal ein Wort bzw. Schriftzeichen dafür. Denn das würde bedeuten, dass diejenige Person krank wäre, was ebenfalls einem Tritt ins Fettnäpfchen gleichkommt.

Und dann gibt es da noch die nette Aussage, dass alle Asiaten gleich aussehen. Das ist, mit Verlaub gesagt, vollkommener Blödsinn. Ein Asiate oder Afrikaner könnte genau das Selbe sagen. Andererseits gibt es solche Gedanken auch gegenüber anderen ethnischen Gruppen oder Nationalitäten. Es gibt genug Menschen die bei einem Araber unmittelbar an Terrorismus denken müssen. Warum macht man z.B. um ein Kopftuch in der Schule eine so große Nummer? Zumal noch immer Kreuze an den Wänden hängen. Ganz oder gar nicht. Waren Kopftücher in den 50er und 60er nicht groß in Mode? Hollywood? Grace Kelly? Kommt ohnehin alles wieder. Leider.

Was sind typische Vorurteile gegenüber Polen, Italienern oder Schotten? Diebe, Faul und Geizig. Jeder kennt sie. Und doch weiß ich nicht, woher sie stammen. Deutsche gelten z.B. als fleißig und pünktlich. Seit wann weiß ich zwar nicht, aber ich könnte dies auch nicht bestätigen, zumindest was mich selbst und mein Umfeld betrifft. Nicht, dass wir ein faules Pack wären, aber dem gängigen Klischee entsprechen wir nicht gerade. Da habe ich mit anderen Kulturen schon eher die Erfahrung gemacht. Ich kann da nur wieder den Vergleich von der Deutschen Bahn mit der japanischen oder chinesischen Anführen, die stets pünktlich sind. Ich warte hier in Deutschland regelmäßig mehrere Minuten; großzügig geschätzt.

Vorurteile gegenüber anderen Kulturen sind mir ein Rätsel. Als ob die Menschen etwas dafür können, dass sie Deutsche, Chinesen oder Iraner sind? Ist ja nicht so, als ob man eine Wahl hätte. Es ist mehr oder weniger Glück oder Zufall, wenn man diese Begriffe verwenden möchte, wo und in welchem Umfeld man zur Welt kommt. Außerdem kann man mit einzelnen Personen Problem haben, aber mit einer ganzen Nation? Sind alle 82 Millionen Deutsche gleich? Ein Pass sagt nichts über den Menschen aus. Allein deshalb verstehe ich Nationalstolz nicht. Stolz kann man nur auf Dinge sein, die man selbst vollbracht hat. Und dann noch andere Länder und Völker diskreditieren. Das grenzt schon an Dämlichkeit.

Leider ist es nicht ganz so einfach, alle Vorurteile mit Dummheit gleichzusetzen. Dafür gibt es allein mit Goebbels oder Pol Pot zwei Gegenbeispiele. Mögliche Ursache könnte die Sturheit sein, Fehler einzugestehen. Womöglich sind es auch sprachliche Barrieren. Im alten Griechenland galt jeder als Barbar, der nicht ihre Sprache beherrschte. Und wie ist es geendet? Wo wir gerade bei Platon und Aristoteles sind: Für die war die Sklaverei etwas vollkommen Normales und Alltägliches. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA brauchte sehr lange um endlich Gleichberechtigung zu erlangen. Zumindest auf dem Papier.

Denn Theorie und Praxis sehen meist anders aus. In der momentanen Regierung Japans, einem modernen und technisch hochentwickeltem Land, gibt es genau eine Ministerin, während in Indien von jeher Frauen politische Spitzenpositionen einnahmen. Man denke nur an Indira Gandhi. Und ich wage mal die Behauptung, dass es Frauen in Indien insgesamt wohl etwas schwerer haben als ihre Geschlechtsgenossinnen im Reich der aufgehenden Sonne.

China hielt sich über Jahrhunderte für den Mittelpunkt der Welt, das nur von Nomaden, unterentwickelten und tributpflichtigen Völkern umgeben war. Man ließ sich nicht mit seinen Nachbarn ein, wusste nichts über sie und selbstverständlich wurde China mehrfach militärisch heimgesucht. Ende des 20. Jahrhunderts breitete sich der westliche Imperialismus im Reich der Mitte aus und die Chinesen wurden als rückständig betrachtet. Und heute? Ohne die Investitionen der Chinesen wären die USA längst bankrott. So ändert sich alles.

Wenn China zur Sprache kommt, werde ich sehr oft mit dem Themen Tibet und Menschenrechte konfrontiert. Nicht zu Unrecht und mit Sicherheit liegt da einiges im Argen. Aber die historischen Ereignisse die dazu führten sind komplex und es würde etwas länger dauern um sie darzulegen. Jedenfalls ist es mit China, gleich böse und Tibet, gleich gut nicht getan. Und wer keine Ahnung davon hat sollte sich auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, was hier in Freiburg leider viel zu oft passiert. Man darf nicht vergessen, dass China offiziell noch immer eine Diktatur ist und es im Land durchaus menschlich zugeht. Haben wir etwa alle schon Guantanamo vergessen? Und die USA rühmen sich damit die Führer der freien Welt zu sein. Nicht, dass wir mittlerweile keine Vorurteile gegen das Land, bzw. die politische Eliten dort hätten.

Und Deutsche sind auch nicht gerade fehlerfrei; wobei ich nicht auf die geschichtliche Vergangenheit anspiele. Ich dachte eher an kleine, moderne Verfehlungen, die aber entweder bereits zum Klischee „typisch Deutsch“ gehören oder es bald sind. Beispiele? Baby an Bord –Aufkleber, Sandalen mit Socken, Gartenzwerge, Nudelsalat, Bananenweizen, Poolliegen besetzen und für mich das schlimmste… Spaghetti schneiden und/oder mit dem Löffel essen! Tut das niemals in Italien!

Ich habe selbstverständlich auch Vorurteile. Jeder hat welche, denn niemand ist perfekt. Aber ich erdreiste mich zur Aussage, dass ich weniger habe als manch andere Menschen, da ich multikulturell aufgewachsen bin. Erfahrungsgemäß sind Menschen mit einem komplizierterem Hintergrund offener für Neues und Anderes. Ansonsten hilft nur Reisen. Reisen bildet.

Doch wie Einstein schon sagte, ist ein Vorurteil schwerer zu spalten als ein Atom.

Zum Glück wird es immer einfacher.

 


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