Es wird langsam Frühling, Weiden und Wiesen erblühen zu neuer Pracht und den Deutschen zieht es nach draußen, an Seen und Berge. Das Bündnis zwischen Feiertag und Sonnenschein wird gerade zu zelebriert; Spazieren und Wandern sind unsere heimlichen Volkssporte. Wer war gestern alles auf einer Maiwanderung? Nur zwei Dinge können einem da die Laune verderben: wenn man sein Vesperbrot daheim hat liegen lassen und wenn die Landschaft plötzlich unschöne Züge von Industrie aufweist.
Diesbezüglich kann man sich doch glücklich schätzen, dass man im doch recht umweltbewussten Deutschland wohnt. Denn anderswo werden atemberaubende Landschaften, regionale Wahrzeichen und wichtige
Wasserquellen schon mal mutwillig zerstört, wenn sich ein paar Dollar gewinnen lassen. Richtig; es geht mal wieder um das Land mit den unbegrenzten Möglichkeiten. Und, um es frei nach Albert
Einstein zu sagen, scheinen nicht nur diese unbegrenzt zu sein, sondern auch die menschliche Dummheit; gepaart mit etwas Gier.
In den USA wird nämlich eine Form des Kohleabbaus betrieben, die man „Mountaintop Removal Mining“ nennt. Ja, es ist genau das, was man hinter dem Namen befürchtet. Erst rodet man die eventuell
bewachsene Bergkuppe vollständig, da platziert man einige Tonnen an Sprengstoff und fegt die obersten Gesteinsschichten weg. Je nach Häufigkeit und Tiefe der Kohlevorkommen kann es sich schon mal
um knapp 300 Meter handeln. Richtig angenehm ist das dann für die Menschen und Gemeinden in den Tälern, wenn sie jeden Tag mehrere Explosionen vor der Haustür vernehmen, dicke Staubwolken
ertragen und sich vor herumfliegenden Gesteinsbrocken in acht nehmen müssen. Aber was wäre das Leben nur ohne Risiken?
Das weg gesprengte „Geröll“ wird aus Kostengründen meist einfach ins naheliegende Tal geschüttet. Dann doch meist eher in das unbewohnte; soweit ich informiert bin. Nachdem der Berg dann
vollständig abgeerntet ist, wird das abgetragene Gestein wieder zu einem Berggipfel aufgeschichtet. Also natürlich nur theoretisch.
Denn in der Realität sieht das meist ein klein wenig anders aus. Wenn denn mal tatsächlich der Berg wieder hergestellt wird, kommt die Höhe zwar hin, aber so wie früher sieht er eher selten
wieder aus. Das wahllos aufgehäufte Geröll erlaubt in fast allen Fällen nur noch das Wachstum von spärlichem und dürrem Gras. Die Eichenwälder und eine Tierwelt sucht man vergebens.
Außerdem werden durch das hinab Räumen des Gesteins auch Flüsse aufgeschichtet. Wenn das Tal wieder geleert wird, muss das Flussbett künstlich wieder mit Steinen hergerichtet werden. Doch fehlen
dann natürliche Barrieren und die Bette erlauben es dem Wasser sich so stark zu konzentrieren, dass es öfters zu Überschwemmungsproblemen im Tal kommt. Sozusagen als Wiedergutmachung für die
Staubwolke; ein Swimming Pool gratis.
Die Firmen, die ihre gierigen Finger in die Berge krallen, spielen selbstverständlich die Gefahren und Schäden herunter. Ist ja nicht so, als würden durch die Sprengungen unzählige Mineralien und
Metalle freigesetzt werden. Im Wasser, rund um solcher Abbaugebiete wurden diverse Schwermetalle und giftige Stoffe wie Selen gefunden. Wenn man dann noch die teils brüchigen Kohlewaschanlagen
dazurechnet, kommt man auf ein nettes Sümmchen an möglichen Erkrankungen. Eben eine bunte Mischung aus Tumoren, Hirnschäden, wie z.B. Autismus, sowie Lungen- und Atemwegserkrankungen, von denen
Asthma noch das harmloseste ist.
„Mountaintop Removal Mining“ gibt es schon seit den 1960er in den USA, doch während den Ölkrisen von 1973 und 1979 kam es, aus naheliegenden Gründen, zu einer steigenden Anfrage nach Kohle.
Selbst heute wird die Hälfte der Elektrizität in den Vereinigten Staaten aus Kohle gewonnen. Doch da der traditionelle Tagebau teurer und aufwändiger war (und ist) entschied man sich vermehrt für
die alternative Form der Gebirgsvernichtung. Außerdem spart diese Methode auch noch Arbeitskräfte ein! Grandios! Da spart man doppelt! Seit Mitte der 1970er Jahre ging die Anzahl der
Beschäftigten in der Kohleindustrie der USA um über 60% zurück. Aber das alleine reicht nicht. Die Unternehmen geben Umweltschützern und Aktivisten die Schuld daran, da sie durch ihre
Interventionen den Abbau verhindern. Geradezu perfide, wenn man bedenkt, dass allein im Bundesstaat West Virginia die Produktion in den letzten 30 Jahren um 140% gesteigert wurde; bei einem
gleichzeitigen Abbau von 40.000 Arbeitsplätzen. Infernalisch perfide.
Dass die Kohleindustrie fast nach Belieben schalten und walten kann, verdanken die Menschen… wer kann es erraten? Natürlich! Unserem Freund, dem brennend Bush! Durch minimale Wortlautänderungen
im Wasserschutzgesetz, durch geschicktes Einsetzen von Lobbyisten in das Umweltministerium und den damit einhergehenden legalen Bestechungen, auch Wahlspenden genannt, wurde der Kohleindustrie
freie Hand bei der Vernichtung der Umwelt gelassen. Die Kohleindustrie revanchierte sich mit circa 90 Millionen Dollar für politische Wahlen; allein in den letzten zehn Jahren. Das Geld liegt
halt nicht auf der Straße, sondern im Berg.
Am schwerwiegendsten betroffen sind die Appalachen. Ungefähr ein Drittel der amerikanischen Kohle kommt aus diesem Gebirgszug, der mittlerweile eher einer Mondlandschaft gleicht. Es wurden
bereits um die 500 Berge zerstört, 1 Million Hektar Wald gerodet und circa 3200 km Flusslauf zum versiegen gebracht. Dabei dienen die Appalachen als Wasserversorgung für fast 50 Millionen
Menschen an der Ostküste, New York mit eingeschlossen. Da bin ich mal gespannt, wie sie die Wasserknappheit begründen werden: Umweltaktivisten haben den Hahn abgedreht! Irgendwas in dieser
Richtung wird es sein.
Im Gebirge gibt es zudem über 300 Kohlewaschbecken, von denen im Laufe der Jahre 28 gebrochen sind, allein im letzten Jahrzehnt waren es über 20! Insgesamt wurden dadurch um die 1300 Liter
Kohleschlamm, vermischt mit anderen Stoffen, in Wasserläufe gelassen. Das ist mehr als die zweifache Menge, die durch die BP-Katastrophe in den Golf von Mexiko gelangte. Es gibt Gebiete, wo
jährlich mehrere 100.000 Kinder autistisch geboren werden, oder nach wenigen Wochen bereits Sterben. In einem Dorf starben innerhalb kürzester Zeit sechs Menschen an einem Hirntumor. Die
Wahrscheinlichkeit daran zu erkranken liegt bei maximal 4:100.000. So, wer rechnet mir jetzt die Wahrscheinlichkeit aus, dass ein halbes Duzend Anrainer gleichzeitig daran erkranken? Diese Zahl
würde ich doch gerne mal sehen.
Ein gewisser Herr Donald Blankenship, jahrelang Chef der Kohleabbaufirma „Massey“, löste sein eigenes Problem geschickt: Als auch um sein Heim verschmutztes Grundwasser entdeckt wurde, ließ er
sich eine separate Leitung zur Nachbarstadt verlegen. Seinen Nachbarn bot er nicht mal an, ihr Wasser ebenfalls daraus zu beziehen. Aber „Don“ hatte es ohnehin nicht so mit der Nächstenliebe.
Unter seiner Ägide wurden die Gewerkschaften so gut wie ausgelöscht, die Gehälter der Arbeiter auf 15 Dollar die Stunde reduziert. Er selbst verdiente 35 Millionen im Jahr. Seine Firma beging 500
Sicherheits- und über 60.000 (!) Umweltverletzungen in diesen 19 Jahren.
Wegen den Sicherheitsmängeln, durch die auch Arbeiter starben, musste „Massey“ 168.000 Dollar Strafe zahlen. Die Firma erwirtschaftete in einer Stunde mehr Geld. Wegen den Vergehen gegen die
Umwelt waren es immerhin 20 Millionen Dollar; allerdings auch dies viel zu wenig, da der Betrag weniger als 1% der eigentlichen, gesetzlichen Geldbuße beträgt! Beziehungen sind doch alles. Habe
ich bereits erwähnt, dass Herr Blankenship sogar den Mut hatte, die Klimaveränderungen als Lüge abzutun! Hmm, irre ich mich, oder ist die Kohleproduktion eine der Hauptursachen für
Treibhausgase?
Jetzt mache ich mir recht wenig Sorgen, dass jemand in Deutschland auf die Idee kommen könnte, Berggipfel zu sprengen. Das ist hier einfach undenkbar und ich bin sehr dankbar dafür. Wir können
unsere Natur noch weitestgehend genießen, auf unseren Spaziergängen in den Wäldern, direkt hinter unseren Häusern.
Ich dachte da eher an China, die immerhin das Dreifache an Kohle produzieren als die USA, und an Indien, dessen Produktionszahlen ebenfalls steigen.
Spätestens wenn damit begonnen wird, den Himalaya auseinander zu sprengen, ist ohnehin alles vorbei.
Oder wie der Grubenarbeiter sagen würde: Dann ist Schicht im Schacht!
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