Trübe Gewässer am schönen Berg

An welches Land denkt ihr als Erstes, wenn ihr Wirtschaftswachstum hört? Ich vermute mal China, vielleicht noch Indien oder Russland. Wer hatte Brasilien auf dem Schirm? Wohl niemand und das obwohl das Land bereits heute die achtgrößte Wirtschaftsmacht ist und momentan in allen Bereichen Rekordzahlen aufweist. Experten, oder Personen, die sich dafür halten, denn wir wissen ja, wie genau Wirtschaftsprognosen sind, gehen davon aus, dass Brasilien bis 2015 auf Nummer fünf vorrutschen wird. Und was braucht ein Land, das in Zukunft vermehrt produzieren wird? Das sich am kapitalistischen Luxus laben möchte? Energie. Jede Menge davon.

Nun scheint es nur logisch, dass sich Brasilien angesichts der unglaublichen Wassermengen des Amazonas bei der Energiegewinnung auf die Natur stützt. Mit dem Wasserkraftwerk Itaipú, das zusammen mit dem Nachbarstaat Paraguay betrieben wird, besitzt Brasilien, von der Leistung ausgehend, bereits über das zweitgrößte Werk weltweit. Doch die gewonnene Energie reicht noch lange nicht. Und eigentlich erscheint es doch löblich, dass ein so großes Land nicht versucht ist, AKWs oder ähnlichen Blödsinn zu bauen. Eigentlich.

Bereits in den 1970er gab es erste Pläne für ein Wasserkraftwerk im Nordosten des Landes, am Xingu-Fluss, die bis Ende der 1980er realer wurden. Jedoch mussten diese verworfen werden, da sich sowohl Umweltschützer als auch die dort lebenden Ureinwohner gegen das Projekt auflehnten. Doch unter Lula da Silva, der von 2003 bis 2011 Präsident Brasiliens war, wurden die Pläne, wenn auch verkleinert, wieder aufgegriffen. Dennoch wird das Belo Monte Kraftwerk das drittgrößte der Welt werden, mit einer Kapazität von 11.000 Megawatt. Der dafür erforderliche Staudamm würde ebenfalls der weltweit Drittgrößte werden. Baukosten: über 8 Milliarden Euro. Wenn es ums Geld geht, ist dem Staat halt nichts zu teuer. Fragt die deutschen Banken…

Und genau dieser Stausee wird zum Brennpunkt der Diskussion. Es müssen drei Talsperren errichtet werden, mehrere Kilometer lang, die den Fluss in zwei Seen aufstauen sollen. Die geplante Fläche entspricht in etwa der Größe des Bodensees. Im Frühjahr 2010 bekam das Konsortium Norte Energia den Zuschlag für die Nutzung des Kraftwerkes, eine Konzession, deren Laufzeit 35 Jahre beträgt. Geht es nur mir so oder hört sich „Konsortium“ tatsächlich automatisch nach geldgierigen Anzugschnöseln an? Nur eine Theorie. Wie dem auch sei.

Dem Betreiber wurden jedenfalls offiziell mehrere und umfassende Auflagen, sowie Ausgleichs- und Entschädigungsmaßnahmen diktiert. So darf Norte Energia zum Beispiel den natürlichen Verlauf des Xingu nicht verändern. Ja, da hab ich mich auch gefragt, wie sie zum Teufel denn sonst den Stausee errichten können? Denn wenn man sich die Pläne mal ansieht, erkennt man unweigerlich, dass ungefähr 100 Kilometer Fluss trockengelegt werden müssen.

Darüber ließe sich ja jetzt noch streiten, aber es müssen auch um die 20.000 Menschen umgesiedelt werden; Xingu-Indianer, die vom Fluss leben. Gefragt hat sie diesmal niemand und selbst Proteste in der Hauptstadt scheinen in den Regierungsgebäuden zu verhallen. Einige der Ureinwohner drohten bereits damit, notfalls mit Waffengewalt gegen den Bau vorzugehen. Die Folge sind Zwangsräumungen, bei denen von Regierungsseite aus Gewalt ausgeübt wird.

Das war der grobe Überblick. Nun schön chronologisch der Reihe nach:
April 2010: Norte Energia bekommt den Zuschlag.
August 2010: Der Konzessionsvertrag wird unterzeichnet.
Januar 2011: Die brasilianische Umweltbehörde IBAMA erteilt eine partielle Baugenehmigung für den Staudamm. Die Folgen… Rodung von ca. 240 Hektar Regenwald und Beginn der Einebnungsarbeiten, Bau von Zugangstrassen und Lagern. Ach ja, im Januar wurde auch die neue Präsidentin Rousseff vereidigt und der Umweltminister „trat zurück“, da er sich nicht durchringen konnte, den Bau freizugeben. Der Übergangsminister brauchte gerade mal 15 Tage für die Genehmigung. Das nenne ich eine effektive Bürokratie!
März 2011: Der zwischenzeitliche Baustopp wegen der Nichteinhaltung von Umweltauflagen wird aufgehoben. Innerhalb von zwei Monaten Beginn, Stopp und Wiederaufnahme. Ich vermute in jeglicher Hinsicht neue Rekordzeiten.
September 2011: Erneuter Baustopp, da die Indios durch den Bau bei ihrem Fischfang gehindert wurden. Ach, um das zu erkennen braucht es ein Richter…
Dezember 2011: Der gleiche Richter revidiert den Beschluss, da die Auswirkungen wohl doch nicht so gravierend seien. Hmm, der Richter muss ein ganz schön (ge)schmieriger Typ sein, oder?

Wen wundert es da, dass es von allen Seiten Kritik hagelt. Allein bei den Arbeiten in der Nähe der Stadt Altamira, die übrigens teilweise überflutet werden wird, bewegen die Arbeiter so viel Erde wie beim Bau des Panamakanals! Vor allem die Auswirkungen auf Natur und Umwelt stehen im Mittelpunkt der Beanstandungen. Denn neben den ca. 520 km² Ackerland und Regenwald die in den Wassermassen versinken werden, sollen die Staudämme vor allem die Fischbestände und deren Wanderungen beeinträchtigen. Mehrere hunderte, teils wohl auch endemische und noch unerforschte Arten wären sofort vom Aussterben bedroht; die Lebensgrundlage der Indios.
Diese stehen auch vor der Gefahr von Ansteckungskrankheiten. Die meist abgeschottet lebenden Ureinwohner sehen sich durch die Zuwanderung von Bauarbeitern mit diesem neuen Problem konfrontiert, da ihr Immunsystem nicht auf für uns so schlichte Erkrankungen wie Grippe eingestellt ist. Dazu kommen die unzähligen Bäume, die in den Stauseen verrotten und gefährliche Treibhausgase erzeugen werden. Von wegen Schweinegrippe oder SARS!

Aber auch die fragliche Wirtschaftlichkeit wird beanstandet, denn man vermutet, dass der Großteil der Stromenergie nicht den Menschen in der Region zu gute kommen wird, sondern der Montanindustrie. Und wo wir bei der Wirtschaftlichkeit sind; meint ihr, dass rund 570 Millionen Euro Entschädigung für die Ureinwohner und ihr unfreiwilliges Opfer angemessen sind? Für Stämme, die seit Jahrhunderten in der Region wohnen? Ich vermute nein, mal abgesehen davon, dass bei der ganzen Vetternwirtschaft ohnehin fraglich ist, ob und wie viele Gelder ankommen.

Dass die staatliche Mitfinanzierung auch auf der Liste der Kritiker steht, muss ich nach obigen Ausführungen ja wohl nicht erwähnen. Da der Fluss Xingu saisonal bedingt Schwankungen bei der Wasserzufuhr hat, ist das Projekt laut Energieexperten ohnehin fraglich. Die Hälfte der Kraftwerksleistung würde bereits reichen, da sonst zukünftig weitere Dämme gebaut werden müssen. Ich hege ja die vage Vermutung, dass genau darauf abgezielt wird. Denn die beteiligten Bauunternehmen „Odebrecht“ und „Camargo Corrêa“ zählen auch zu den großen Sponsoren von Herrn Lula da Silva und seiner Partei. Ich rieche königliche Abfindungen. Nicht umsonst heißt die brasilianische Währung „Real“.

Dabei gäbe es durchaus Alternativen. Der Energieexperte Célio Bermann schlug bereits mehrere Anregungen vor, unter anderem dem Ausbau von Wind- und Solarenergien und vor allem eine Effizienzsteigerung durch die Modernisierung bereits vorhandener Kraftwerke. Das Ganze wäre auch billiger, wenn auch wirtschaftlich nicht so lukrativ, was? Aber um diese Frage zu stellen, müssen wir gar nicht so weit reisen, denn wer liefert Material nach Brasilien? Unter anderem die deutsche Firma „Voith Hydro“ und das österreichische Unternehmen „Andritz“ konnten sich Turbinen-Aufträge in dreistelliger Millionenhöhe sichern. Lang lebe die Globalisierung.

Natürlich lockt ein solches Projekt auch Prominente an. Allen voran Sting, der bereits 1989 bei den Protesten teilnahm und der neue, selbsternannte Ökofürst James Cameron, der nach seinem Film „Avatar“ stets an vorderster Front für die Umwelt kämpft. Ich persönlich bin bei solchen Stars immer etwas vorsichtig mit dem Lob (ja, Bono hat mir da einiges versauert…), aber es lässt sich nicht abstreiten, dass dadurch mehr Aufmerksamkeit für den Bau entsteht.

Das Vorhaben scheint dennoch unausweichlich zu sein, egal wie viele Menschen sich noch gegen die Lügen und Halbwahrheiten von „Morte Energia“ auflehnen werden. Dafür haben alle Beteiligten bereits zu viel investiert und ein Abbruch würde Brasilien, wortwörtlich, teuer zu stehen kommen. Die Inbetriebnahme wird für 2015 angestrebt. Wollen wir nur hoffen, dass das Land nicht denselben Fehler macht, wie andere Staaten und endgültig die kapitalistische Box der Pandora öffnet.

Dann hätte Herr Cameron aber wenigstens schon die Story für „Avatar 4 – Das irdische Pandora.“


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